Von Gaby Weiß

Er bewegt sich über „Land und Straßen“ hin zu „Alltag und Zumutung“, schwenkt ein auf „Ego und Eigenheit“, streift „Angst und Anwandlung“ sowie „Not und Tod“, um dann mit „Zeichen und Wunder“ positiv zu enden. Die Esslinger Lyrikerin Anna Breitenbach hat für ihren neuen Gedichtband „Haus und Hof, Sachen, Leute“ (Verlag Klöpfer & Meyer, 18 Euro) knapp 120 „brauchbare Gedichte“, so der Untertitel, zusammengestellt. Und sie verrät schon einmal, was den Leser erwartet: „Alles, was uns so betrifft. Da geht’s um die Niederungen des Alltags. Und um Schönheit und Schatten, um Gier und Gewinn, ums Bilden von Bergen, um Sturmspitzen, Fallhöhen, gemischte Gefühle bis zu Brandherden, Feuer und Flammen. Ein Handbuch fürs Leben, für alle Fälle.“

Ganz bewusst schreibt Anna Breitenbach Gedichte „nicht für Fachleute, Dichter oder Kritiker, sondern für die Leute“, wie sie betont. Gedichte fürs Leben sind das, die im ganz alltäglichen Wahnsinn gute Dienste leisten. Das sind Texte, die sich auswendig lernen, abschreiben, ausdrucken, im Geldbeutel tragen, an die Pinnwand heften und weiterverschenken lassen. Anna Breitenbach, die seit vielen Jahren in Esslingen lebt und für ihren Debütroman „Fremde Leute“ 2001 mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet wurde, will, dass die Menschen ihre Gedichte benutzen: Als Vergnügen und Unterhaltung, als Trost und Stärkung, als Anregung und Bereicherung, als Schubs zum Weiterdenken.

„Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden“, stellt sie ein Zitat von Albert Einstein voran. Und sie ergänzt: „Ein Gedicht ist so etwas wie eine Taschenlampe oder ein Scheinwerfer. Es wirft ein Licht auf etwas, über das man sonst hinwegguckt. Es nimmt etwas aus der Menge heraus und beleuchtet es.“ Das ist meistens kurz und knackig, manchmal auch ein wenig länger und ausführlicher. Das ist oft ganz einfach und klar, dann wieder sehr kunstvoll und verblüffend. Immer wieder hebt sie die Welt aus den Angeln, um sie sanft wieder landen oder krachend auf den Boden der Tatsachen aufschlagen zu lassen.

Alltag animiert zum Verdichten

Nur zu gerne lässt sich Anna Breitenbach vom Alltag zum Verdichten animieren, von Fußball, Werbeplakat und Bäckerbrötchen, von den unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche, von einer ewig roten Untertürkheimer Ampel oder von einem Rauhaardackel beim Gassi-Gehen. Sie nimmt manches wortwörtlich wie die „Zugluft“ auf Bahnsteigen. Sie bietet hintergründiges „Wald- und Wiesenwissen“: „Bäume schlafen im Stehen! wenn sie nicht umfallen vor Müdigkeit - wie ich.“ Man beachte das wie ein Baum stehende Ausrufezeichen mitten im Satz.

Mit ihrer Lyrik will Anna Breitenbach jedermann locken und verführen: „Ich möchte, dass jeder meine Gedichte mit Freude liest und hört, auch Menschen, denen in der Schule der Spaß an der Lyrik ausgetrieben wurde“, erklärt die Poetin, die Hunderte von Gedichten in ihrem Fundus hat, die Keks- und Steingedichte veröffentlicht hat, mit der Esslinger Malerin Maren Profke bereits den zweiten Küchenkalender herausgegeben hat und die derzeit für ein Projekt einen Winzer arbeitend und dichtend begleitet. Damit sich auch jeder ans Gedicht heran und ins Gedicht hinein traut, sollte die Tür „einladend, verführerisch oder geheimnisvoll sein, danach kann es bodenlos werden“. Das gelingt Anna Breitenbach mit Bravour: Meist kommen ihre Texte leichtfüßig und leichthändig daher. Und immer findet sich dann ein Tick Frechheit, ein Hauch Widerspenstigkeit, eine Andeutung von Aufmüpfigkeit oder sogar eine kleine Prise Boshaftigkeit. Ein kleiner Sidestep, manchmal auch ein großer Seitensprung. Oder eine kleine Drehung, die die Dinge auf den Kopf stellt. Und spätestens beim zweiten oder dritten Lesen offenbaren die Texte ihre Vielschichtigkeit. „Innendrin steckt ein Kern, der den Wirkstoff enthält“, sagt die Autorin augenzwinkernd.

Gedichte sollen Mut machen

Wie bei den Gedichten lohnt sich bei diesem Lyrikband der zweite Blick auch auf das Titelbild mit einer nackten jungen Frau, die sich zwischen Putzeimer, Töpfen und Eingemachtem in ein Regal hineinzwängt: „Ich nenne sie die ‚Fach-Frau‘. Wir kennen doch alle die Erwartungen, mit denen eine Frau heute konfrontiert wird: Schön, schlank, beweglich, beruflich erfolgreich, Kinder kriegen, den Haushalt wuppen. Sie ist so nackt, verletzlich und eingeengt durch diesen Druck, perfekt zu sein.“ Das passt, so die Autorin, haargenau zu ihren Gedichten, die Mut machen: „Mach’ nicht das, was du sollst, sondern das, was du willst. Schau‘ dir an, was für dich richtig ist. Es ist dein Leben.“

Anna Breitenbach feiert die Präsentation ihres Lyrikbandes mit einer Lesung am Freitag, 15. Juli, ab 19 Uhr im Innenhof der Esslinger Stadtbücherei (bei schlechtem Wetter im Bücherei-Café), der Eintritt kostet fünf Euro.