Ein berauschender Genre-Mix, eine schwarze Blues-Bouillabaisse, mit zuckersüßesten Melodien angerührt. Es entsteht ein überwältigender Sound, ein prachtvoller Klangteppich, der kaum besser zu weben ist.

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Es hat schon auf seiner „Chocabeck“-Tour 2011 formidabel funktioniert. Und es klappt auch bei „Black Cat“ ganz hervorragend. Auch sein neuestes Album spielt Zucchero zum Auftakt seiner Deutschlandtournee in der Stuttgarter Schleyer-Halle live zur Gänze und fast in CD-Reihenfolge. „Black Cat“ ist ein sehr schwarzes Album, für das sich der Italiener vom Hollywoodstreifen „12 Years a Slave“ hat inspirieren lassen. Es ist mystischer und zugleich melancholisch-bluesiger als seine Vorgänger und zeigt irgendwie doch Charakteristika einer Katze: frei, wild, anarchisch, aber auch fein. Auch wenn die Songs in Albumreihenfolge dramaturgisch etwas holprig und ohne jede Ansprache daherkommen, verbreitet sich im ersten Kapitel des Konzerts von Beginn an eine weitaus bessere Stimmung als vor drei Jahren, als Zucchero mit seiner „Sesión Cubana“ doch mehr verstörte als begeisterte.

Bereits mit dem Opener „Partigiano reggiano“ und dem schmissigen, schnellen „13 buone Ragioni“ mit Country-Fiedel lässt der vor wenigen Tagen seinen 61. Geburtstag feiernde Zucchero die 7000 Fans rhythmisch zappeln und nimmt dann immer mehr Fahrt auf. Der gebürtige Adelmo Fornaciari mit Hut, brauner Fransenjacke, Jeans und roten Sneakern klatscht eine lupenreine Rocknummer („Ti Voglio Sposare“) hin, bei der Zucchero in Springsteen-Manier röhrt, und setzt mit dem Mini-Epos „Terra incognita“ ein weiteres Ausrufezeichen. Das eindringliche „Ten More Days“, das durch seine vernebelte Italo-Western-Atmosphäre überzeugt, erinnert an Johnny Cash.

Herausstechend sind allerdings zwei andere Stücke. Der Gospel „Hey Lord“, auch wenn es das heidnische Gebet eines Flüchtlings ist, der Zeuge war, wie ein naher Angehöriger in einem sinnlosen Krieg gestorben ist. Und das eindringliche „Ci si arrende“, die italienische Vorlage von „Streets of Surrender (S.O.S)“, für das U2-Sänger Bono unmittelbar nach den Terroranschlägen von Paris im November den englischen Text geschrieben hat. Gar kein Vergleich, um wieviel besser das Zeit zum Durchschnaufen ermöglichende Original nach dem rockigen Einstieg wirkt. In der Schleyer-Halle beginnen Leute mitten im Lied zu klatschen, weil in ihnen etwas vorgeht.

Kurzum: Zucchero ist wieder in den Schoß des Rhythm’n’Blues und des Rock’n’Roll zurückgekehrt. Soul, Gospel und das Lebensgefühl des amerikanischen Südens beeinflussen auch die neuen Lieder. Es sind genau solche Songs wie die überbordende Hymne „L’anno dell’amore“ mit ihrer betörenden Percussions-Einlage, die Zuccheros Status als Italiens erfolgreichster Rockstar zementieren und die er in der gut besuchten, aber kontraproduktiv bestuhlten Arena brillant zelebriert.

In drei Kapitel ist das rasante, 140 Minuten lange Konzert unterteilt, wobei nicht klar erkenntlich ist, worin sich Kapitel zwei und drei unterscheiden. In beiden Abschnitten spielt er große Hits, abwechselnd mit Auszügen aus seinen Alben wie eben „Chocabeck“. In Kapitel 2 unter anderem „Vedo nero“, „Baila (Sexy thing)“, mit denen er das Publikum umgehend von den Sitzen reißt, sowie die Ballade „Oltre le rive“ und „Il volo“. In Kapitel 3 dann seine allergrößten Hits wie „Libidine“ „Diamante“, „Cosi celeste“ und die obligatorischen Welterfolge „Senza una Donna“ und „Diavolo in me“, mit denen er ganz zum Schluss noch eine gehörige Portion Italo-Schmalz in die Schleyer-Halle zaubert.

Auch die alten Hits hat er so arrangiert, damit alles zusammenpasst. Und wie sich alles fügt! Es ist ein berauschender Genre-Mix, eine schwarze Blues-Bouillabaisse, die Zucchero mit den zuckersüßesten Melodien anrührt und in der die lateinamerikanischen Klänge diesmal glücklicherweise nicht die Oberhand behalten. Die stärksten Momente im Konzert finden sich immer dann, wenn der viel schlanker gewordene Mann aus Roncocesi in der Emilia-Romagna, den man noch nie so gut aufgelegt, so quirlig und so tiefenentspannt erlebt hat, ins Bluesige abdriftet und seiner raumgreifenden Stimme freien Lauf lässt. Wie bei „Il suono della domenica oder beim Creedence Clearwater Revival-Cover „Long as I can see the light“ in Pedal-Steel-Version, bei dem er, ohne es zu wollen, auf einer Stufe mit Joe Cocker singt. Und natürlich bei „Miserere“, dem brillanten Duett mit dem verstorbenen Startenor Luciano Pavarotti. Zuccheros heisere, gegerbte Stimme klang nie besser. Knapp zweieinhalb Stunden lang bietet Zucchero ein fulminantes, bombastisches, 29 explodierende Songs umfassendes Feuerwerk an Rhythmen und Lebenslust. Die üppige Bühne ist, wie das Licht, spektakulär und verweist auf den Süden der USA. Zu Beginn pulsiert ein riesiges Herz, das sich in eine Videowall verwandelt, flankiert von einem überdimensionalen Vintage-Mikrophon, das auf einem Ölbohrturm zu thronen scheint. Der Sound wird von Minute zu Minute brillanter, in ihm brechen sich Bläser Bahn, wetteifern Gitarren miteinander und beschwören Perkussionisten Flair herauf.

Zuccheros 13-köpfige Multi-Kulti-Band dürfte derzeit die beste Tourband sein, die in Europa aufspielt. An der Hammond-Orgel B3 sitzt die britische Legende Brian Auger, einer der bedeutendsten Fusionorganisten der Popmusik. Für den superben Rhythmus sorgt unter anderem Queen Cora Dunham, einst für Prince an den Drums. Mit Violinistin Andrea Whitt aus West Virginia hat Zucchero eine echte Country-Fiedel dabei und Backgroundsängerin Tonya Boyd-Cannon ist eine Stimmungs- und stimmgewaltige „Kanone“ sondergleichen. Auch deshalb lässt der Maestro seine Mitstreiter beim Konzert immer wieder homogen solieren und Genre-Grenzen überschreiten wie bei einer Jazz-Einlage. Es wird geklotzt, nicht ein einziges Mal gekleckert.

So entsteht ein überwältigender Sound, ein prachtvoller Klangteppich, der kaum besser zu weben ist. Auf ihm schwebt das Publikum dahin wie auf einem fliegenden Teppich, zum entspannten Tanz bereit. Allein Zuccheros musikalische Urgewalt, die mal mit beschwingter Lässigkeit, dann wieder mit tosender Kraft aus ihm heraus bricht, bisweilen auch zart umspülend, hält den Teppich in der Luft. „Baby, the night is on fire“, singt er in „Baila (Sexy Thing)“. Wie Recht er doch hat.