Manchmal passt‘s, manchmal nicht: Animationen zu Bach. Foto: Schneider Quelle: Unbekannt

Von Harry Schmidt

Stuttgart - Auch für die letzte Nachtschicht des diesjährigen Musikfests hatte sich die Bachakademie die hippen Wagenhallen am Nordbahnhof als Location erkoren. Verständlich angesichts der Überalterung des Publikums. In der Tat mischte sich hier der experimentierfreudigere Teil der Stammgäste mit einer Zielgruppe, für die der Besuch eines Clubs selbstverständlich ist. Vielleicht kann man für ein neues Generalbasszeitalter halten, was Besucher aus aller Welt in angesagte Berliner Clubs wie das Berghain lockt. Dass die jungen Musiker von Musica Sequenza dort ebenso zuhause sind wie in klassischen Konzertsälen, macht die 2008 in New York gegründete Gruppe, die vorwiegend auf historischen Instrumenten spielt, zu einer Idealbesetzung für einen experimentellen Crossover-Ansatz.

Konzertmeisterin Daniela Gubatz zur Rechten, lenkt Fagottist und Ensembleleiter Burak Özdemir das Geschehen im Zentrum, nimmt sich mit seinem Holzblasinstrument führender Stimmen an, während er nicht nur die elektronischen Klangereignisse aus seinem Laptop mit einem kleinen Mischpult steuert, sondern auch die Visuals der Projektionen auf einer Leinwand. Gleichzeitig als DJ und VJ, als Virtuose und sein Dirigent agiert Özdemir beim Auftritt unter dem Titel „Sampling Baroque“, der sich der Musik Bachs, vor allem aus seinen sakralen Vokalwerken , unter Techno-Vorzeichen zu nähern suchte.

Nebel quillt auf, Özdemir windet sich mit seinem Fagott in den zuckenden Lichtern der etwas zu präsenten Lightshow und sieht in seinem mit grauen Federn besetzten Umhang ein wenig aus wie ein in die Asche gefallener Paradiesvogel. Vieles an diesem Abend klingt wie eine Mischung aus Tech-House und Minimal Music, wobei Bach mitunter nur noch als Spurenelement wahrzunehmen ist. Dafür unterstreicht Özdemir den aktuell in der Clubkultur sehr geschätzten orientalisch-folkloristischen Einschlag seiner Barock-Remixe unterstreicht.

Einerseits also: Bach in Dub - das funktioniert, wenn auch manchmal nur leidlich und auf Kosten der Raffinesse. Andererseits geht die ob der Mächtigkeit der Beats notwendige elektrische Verstärkung der Instrumente zu Lasten der Transparenz. Vor allem die Streicher klingen harsch und verengt. Weil die Spuren aus dem Laptop der Show das Timing und den Stücken den Rhythmus vorgeben, bleibt zudem nur wenig Raum für Improvisation und Interaktion. Wie nebenbei bezeugt aber auch der Verfremdungseffekt die Universalität der Musik Bachs.

Die Videos zeigen Tunnelfahrten im Zeitraffer, organisch wuchernde Strukturen, bunte Schlieren und Oberleitungen. Manches passt besser, manches weniger. Nah am Clubhit die Version der Arie „Eilt, ihr angefochtnen Seelen“ (aus Bachs Johannespassion), zum reizvollen Pizzicato der tiefen Streicher geht im Rezitativ „Du lieber Heiland du“ (aus der Matthäuspassion) der Mond auf.

Licht und Schatten auch bei den Zugaben frei nach Händel: „From This Unhappy Day“ gerät zur stärksten Nummer des Programms, „Piangerò“ reibt sich an einem unangemessenen Pattern, rhythmische Sportgymnastik im Hintergrund, „Lascia ch‘io pianga” mutiert zum Deephouse, während sich öffnende Blüten signalisieren: Auch vor Elektro-Kitsch haben wir keine Berührungsängste. So bleibt unentschieden, ob Musica Sequenza sich dem Barock lieber an den Hals oder als Knüppel zwischen die Beine werfen möchte - beides wäre möglich, allerdings nicht gleichzeitig.