Tamas Detrich ist im Training der jungen Ballettschüler (hier mit Vittoria Girelli) fordernd und fördernd. Foto: Ulrich Beuttenmüller Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Etwas ungläubig nahmen die zehn Frischlinge das Interesse zur Kenntnis, das ihnen im Kammertheater so reichlich entgegengebracht wurde - seit Beginn der Spielzeit sind gerade zwei Monate vergangen, die meisten der neuen Tänzer des Stuttgarter Balletts standen bisher nur in den hinteren Reihen auf der Bühne. Hier aber werden sie einzeln beklatscht, es gehört einfach zu den Qualitäten des berühmten Stuttgarter Ballettpublikums, seine Tänzer näher kennen zu wollen. Bei den neun verschiedenen Nationalitäten gab es ein kleines lokalpatriotisches Aufjauchzen für Mona-Patricia Hartmann aus Aalen, derzeit eine von immerhin drei Baden-Württembergern in der Kompanie.

Sehr früh in der Spielzeit findet der „Blick hinter die Kulissen“ dieses Mal statt, eine Woche lang kann man im gemütlich eingerichteten Kammertheater wieder bei Proben zuschauen, die Physiotherapeuten bei der Arbeit beobachten, die Klassen der John-Cranko-Schule bewundern. Was eignet sich besser zum Kennenlernen als ein normales Training mit den jungen Tänzern, dachte sich Tamas Detrich, stellte die Neuen kurz vor und legte, während er ein wenig von der China-Tournee plauderte, mit Dehn- und Aufwärmübungen an der Stange los. Reid Anderson studiert derzeit „Onegin“ bei seiner ehemaligen Kompanie, dem National Ballet of Canada ein, so konnte man also den Stellvertreter und designierten Nachfolger bei genau der Basisarbeit beobachten, die die wichtige tägliche Grundlage für alle künstlerischen Höhenflüge bildet.

An den Stuttgarter Stil angleichen

Detrichs Training ist animierend, anspruchsvoll und alles andere als mechanisch. Zusammen mit Pianistin Catelijne Smit, die herausfordernd zwischen Tango, Pop und dem „Nussknacker“ hin- und hersprang, fordert er auch Intellekt und Auffassungsgabe der Tänzer. Detrich arbeitete daran, die (noch) unterschiedlichen Schulen an den Stuttgarter Stil anzugleichen. Nur die Hälfte der Tänzer kommt dieses Mal von der eigenen Cranko-Schule, die anderen aus Toronto, vom Bayerischen Staatsballett oder dem Zürcher Ballett.

„Wir legen hier den Fuß ein bisschen anders an“, informierte er zum Beispiel die charmante Lettin Alisa Scetinina, oder er gab Tricks des legendären Rudolf Nurejew für kerzengerade Double Tours an die Herren weiter, die schwierige zweifache Drehung um die eigene Achse in der Luft mit möglichst perfekter Landung. Adrian Oldenburger - groß, blond und mit Wangenknochen wie Benedict Cumberbatch der Hingucker des Abends - springt sie fröhlich rechts herum und links herum, allein das ist verblüffend. Noch fehlt es etwas an Politur und an der Haltung des Oberkörpers, aber das Starpotenzial funkelt hervor. Manchmal sticht die Qualität der Cranko-Schule geradezu heraus, beim Italiener Alessandro Giaquinto etwa, der einst in „Dancer in the Dark“, der Kooperation mit dem Schauspiel im Nord, so eindrucksvoll den Sohn der blinden Selma gespielt hatte und nun als Eleve mit der Kompanie tanzt. Er strahlt mit seinen schönen Balancen eine derartige Sicherheit aus, dass man sehr gespannt ist, mehr von der künstlerischen Persönlichkeit hinter dem ungewöhnlich ernsten Gesicht zu entdecken. Vielleicht wäre es schön, die neuen Tänzer beim nächsten Mal auch mit ein, zwei Sätzen zu Wort kommen zu lassen - aber andererseits zeigten sie bereits in einem ganz normalen Training ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten: Genau in dieser Diversität liegt eine der größten Stärken des Stuttgarter Balletts.

Weitere Veranstaltungen im Kammertheater täglich bis Sonntagabend, das genauere Programm gibt es unter www.stuttgarter-ballett.de