The Common Linnets sind benannt nach dem Bluthänfling, einer Finkenart. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Aus dem Nichts kamen The Common Linnets auf die große Bühne. Vor drei Jahren noch ein bloßes Hirngespinst von Frontfrau Ilse DeLange, enterte die niederländisch-amerikanische Formation 2014 den Eurovision Song Contest und belegte - mit zwölf Punkten aus Deutschland - den zweiten Platz. Ihr Beitrag „Calm after the storm“ entpuppte sich daraufhin in 14 europäischen Ländern als Nummer-Eins-Hit.

Das damalige ESC-Duo ist tatsächlich ein Grand mit Vieren: DeLange und JB Meijers, die beiden holländischen Bandgründer, sowie die Sänger und Songwriter Matthew Crosby und Jake Etheridge aus den USA. Bei ihrem formidablen Gastspiel im Wizemann Stuttgart wird das vierblättrige Kleeblatt durch drei weitere Musiker verstärkt. Die akustische Vielfalt ist entsprechend beeindruckend. Neben den dominierenden Gitarren in nahezu allen denkbaren akustischen und elektrischen Variationen kommen auch Pedal Steel, Banjo und Mandoline zum Einsatz und schaffen mit Keyboards, Drums und Bass zusammen einen schönen Klangkosmos. Auch stimmlich sind die „gewöhnlichen Blutsbrüder“ ein Genuss. Nicht nur die ungemein sympathische, authentisch wirkende DeLange hat eine tolle, wohltuende Tonlage, auch die vierstimmigen Gesangsharmonien betören in ihrer Komplexität.

Kontrapunkt zu Arena-Shows

Bereits nach den ersten Takten glaubt man denn auch, Fleetwood Mac zu hören. Der poprockige Eröffnungssong „We don’t make the wind blow“ könnte glatt aus der Feder von Stevie Nicks und Co. stammen, so brillant ist das Westcoast-Stück gezimmert. Die feinen 1970er-Jahre atmen fortan fast bei jedem Song durch das wundervolle, 100 Minuten lange Konzert. Auch beim zweiten Stück „Lovers & Liars“ mit seiner Pedal-Steel-Untermalung hört man Fleetwood Mac in Bestform heraus. Mit „Give me a Reason“ und dem leisen, intimen, berührenden „Dust of Oklahoma“ wandeln sie schlafwandlerisch sicher zudem auf den Spuren von Legenden wie Crosby, Stills, Nash and Young sowie Jackson Browne. Ihr Streifzug durch die Genres Country, Folk, Bluegrass, Americana, Singer/Songwriter und erquickender Westcoast-Musik ist von jener Sorte, an der man sich schwerlich satthören kann. Die Parade im Wizemann setzt einen achtbaren Kontrapunkt zu großen, lauten Arena-Shows.

Das Konzert ist ein langer, ruhiger Fluss. Die Songs strömen nur so dahin, mal langsamer („Still loving after you“), mal schneller („Hearts on Fire“), mal durch seichtere Gewässer (das traurige Liebeslied „Love goes on“), mal vorbei an hakeligen Stromschnellen (Matthew Crosbys eigener Titel „I just want you“). Das Songwriting ist ausgefeilt, manche aufblitzende Gitarrenriffs sind packend. Hörbar streben die Folkrock-Barden, die man bis vor zwei Jahren noch gar nicht kannte, auch live nach gehöriger Qualität und Perfektion. Allerdings, zur Magie und meisterhaften Brillanz eines Jackson Browne fehlt dem Quartett noch ein großes Stück, auch wenn das geisterhafte „Runaway Man“ oder „Days of endless Time“ mit seinem erhabenen Banjo-Riff, zu dem Ilse DeLange fast entrückt singt, kurz für ähnliche Glücks- und Gänsehautmomente sorgen wie der US-Songwriter im vergangenen Jahr in der Liederhalle.

19 Lieder voller Wohlklang

Dessen ungeachtet pendeln die anderen Songs zwischen herzerfrischenden Midtempo-Songs und gefühlvollen, be- und verzaubernden Balladen. Das von Crowded House inspirierte, betörende „That Part“ sowie das folkorientierte Rockstück „In your Eyes“, auf seine Art und Weise fast ein halber Country-Dance-Song, sind die ersten Höhepunkte. Ein zweiter ist natürlich „Jolene“, der Dolly Parton-Klassiker von 1974. Die Common Linnets-Interpretation ist glücklicherweise viel näher am Original denn an der Version von The BossHoss, die die Berliner Großstadtcowboys mit Ilse DeLange und Co. einspielten. Gegen Ende zieht die Band noch einmal das Tempo an. Mit „Waiting Game“, der wunderschönen Bluesgrass-Nummer „Time has no mercy“ und dem rockigen „As if only“ wird es ganz leicht stürmisch, bevor Ruhe einkehrt und „Calm after the Storm“, der Song, der das Leben von The Common Linnets verändert hat, das reguläre Set beschließt.

Zurück liegen 19 Lieder voller Wohlklang und Wärme, die sprühen und funkeln. Die Musik ist die einzige Show. Es braucht kein ausgefallenes Licht, keine Videoprojektionen und keine Effekte, um die Zuhörer geradezu mit Ehrfurcht gefangen zu nehmen, sondern lediglich kostbare, handgemachte Musik und eine unprätentiöse Band auf Augenhöhe mit dem Publikum. Einzig am Sound, der nicht makellos und teilweise zu leise ist, muss das Publikum an diesem Abend Abstriche machen.

Das zauberhafte „Proud“, das an die Eagles erinnert, läutet die drei Zugaben ein. Der Musikgenuss endet mit Neil Youngs berührendem „Heart of Gold“: vierstimmig a cappella gesungen, unplugged mit Mundharmonika intoniert. Ein leiser Song, ein leiser Abschied, aber das perfekte Fade-out eines stimmungsvollen Konzerts.