Berit Jentzsch und Amadeus Lerch während einer Probe Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elisabeth Maier

Stuttgart - Wenn Mädchen mit ihren Puppen Mama spielen, ist das eigentlich richtig süß. Auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels Nord hört sich das etwas anders an. Da stehen drei Schülerinnen in Spitze und Samt vor dem Publikum. Und die sorgen mit ihrem Treppenhausgespräch für Staunen. Was ist denn aus ihren Söhnen geworden? Ach, der Der Matthias geht zur Bundeswehr, sagt altklug die eine. Der Devid radikalisiert sich und schlägt im Namen des IS Menschen die Köpfe ab, ist von der anderen zu erfahren. Rajid, das Pflege- und Flüchtlingskind der Dritten, geht jeden Tag mit Muttis Vesperdose zu „Lecker und Loch“. Da stellt er als Lehrling jene Waffen her, mit denen einst seine Familie getötet wurde. Die Ironie, mit der die drei Schülerinnen diese Szene zeigen, ist bemerkenswert. Dass sich der Text auf die Oberndorfer Waffenfirma „Heckler und Koch“ bezieht, die ihre Sturmgewehre in die ganze Welt exportiert, haben die Erwachsenen da längst begriffen. Dominic Friedl, der schon etliche Uraufführungen Löhles in Szene gesetzt hat, setzt in dieser Uraufführung zwar reichlich auf Schockeffekte. Das rückt Löhles politisch komplexen, zugleich aber auch vergnüglich-grotesken Text in ein allzu schwerblütiges Licht.

Das liegt nicht zuletzt an den gewaltigen Bildern: Ausgelassen tollen Schulkinder auf der Bühne herum. Hosen, Spitzenblusen und Pomade im Haar erinnern an den I. Weltkrieg. Augenblicke später liegen sie leblos am Boden. Dass Kinder als Opfer wie als Täter zu sehen sind, erschüttert. Zunehmend weicht die Betroffenheit aber größtem Respekt. Schließlich verarbeitet der Regisseur mit den Kindern das, dem sie in den Medien ausgesetzt sind. Bilder von abgeschlagenen Köpfen nach IS-Terroranschlägen oder toten Soldaten im Krieg - das ist die Welt, mit der schon die Kleinsten fertig werden müssen. Angesichts dessen bleibt der moralische Aufschrei, den man erwarten könnte, da im Halse stecken.

Der Weg eines Gewehrs

Ein Kinderchor, der die „Häschen“-Texte im Stück zerpflückt, bringt es ironisch auf den Punkt: „Kinderarbeit. Ja, da rollen wir alle betroffen mit den Augen. Aber was ist denn bitteschön ein Kind? … Und Kinder in einer Fabrik, die damit helfen, ihre Familie zu ernähren und die kranke Mutter zu pflegen, das ist böse! Aber Kinder, die auf eine Bühne gestellt werden, wo man ihnen zuguckt, wie sie Dinge tun, die sie nicht verstehen, das ist ist nicht böse. Das ist gut. Das ist süß.“

Löhle untersucht den Deal bei Heckler und Koch aus Oberndorf im Schwarzwald, bei ihm wortspielerisch einfach „Lecker und Loch“ und verortet ihn in der Geschichte. Nicht nur die Kinder dürfen feste schwäbeln. Robert Kuchenbuch als brutaler Papa, der in der Rüstungsfabrik arbeitet, dekonstruiert die Figur des drallen, schwäbischen Familienernährers virtuos.

Der Autor bedient sich sogar des aztekischen Kriegs- und Sonnengotts Huitzilopochtli - dessen Namen die Kinder kaum aussprechen können. Das sorgt für alberne Lacher. Mit politischem Tiefgang verfolgt Löhle in seinem neuen Stück den Weg eines Gewehrs, in indianischer Sprache „Feuerschlange“ genannt, auf einer Zeitreise. Die zeigt Horst Kotterba als schwäbischer Rüstungsunternehmer in einem derben Spektakel mit der Jahrmarkt-Musik von Malte Preuss wie im schönsten Varieté.

Friedels Uraufführung der 15 „beliebig kombinierbaren“ hat starke Momente. Aber oft fehlt in seiner Montage der Absurditäten der Witz, den man von seinen anderen Arbeiten mit dem auf deutschen Bühnen viel gespielten Autor Philipp Löhle kennt. Und dieser Humor ist auch in „Feuerschlange“ zu finden - nur eben subtiler als gewohnt. Löhles Groteske ist dunkler als das, was man von ihm kennt, aber zeigt eine spannende Entwicklung des Autors, der in Baden-Baden aufgewachsen ist und der eigentlich aus der Schweiz kommt. Hier bahnt sich die Kraft der Sprachlosigkeit ihren Weg. Viel von diesem Potenzial schießt das Regieteam einfach in den Wind.

Die Botschaft kommt an

Peter Schickarts leere Bühne mit einem Holzgerüst lenkt den Blick auf den Trickfilm, der das Geschäft mit dem Tod spiegelt. Susanne Schieffer muss im schrillen Püppchen-Outfit über die Bühne tänzeln und dabei O-Töne eines Waffenexport-Gesetzes der Bundesregierung sprechen. Das witzige, aber zu lange geratene Gespräch der Ministerien über Waffen im Land der Schnurrbärte spricht der begnadete Komödiant Horst Kotterba mit verteilten Rollen. Trotz seines wunderbaren Spiels verpufft das in Langatmigkeit. Der junge Christian Czeremnych darf im Spiel mit Waffen und Kindern komisch sein. Dieser Spagat gelingt ihm brillant. Wie leichtfertig das Thema Waffenhandel heute unter den Teppich gekehrt wird, macht sein spielerischer Spagat deutlich. Berit Jentzsch hat mit Robert Kuchenbuch, der sein immenses Spektrum offenbart, ebenso schöne Tanzszenen choreografiert wie mit den Kindern. Wenn sie den kleinsten wie einen leblosen Sack in einem Totentanz über die Bühne schleudert, ist das zwar grenzwertig. Aber die Botschaft kommt an. Das Geschäft mit dem Krieg kennt nur Verlierer.

Die nächsten Termine: 3., 13. und 28. November sowie 27. Dezember.