Ein-Personen-Stück zu zweit: Philipp Nicklaus und Marta Klimasara in Jörg Behrs Inszenierung. Foto: Christoph Kalscheuer Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Wenn beim Striptease selbst die Krawatte lasziv in die Länge gezogen wird, am Ende aber das Gemächt hinter dem Hut verbleibt, wenn Damen mit güldenem Haarkranz und Goldkettchen an den Strumpfbändern tänzelnd schwarze Riesenfederfächer schwingen, zwar Hüllen fallen lassen, aber Brustwarzen bedeckt und String-Tangas an bleiben: Dann ist Zeit für die Burlesque, jenem erotischem Spaß, mit dem sich in den 1920er-Jahren US-amerikanische Theater füllen ließen. Da war vom Ganzkörperstriptease ja auch noch nicht die Rede. Mit der Renaissance des Varieté-Theaters in den 1990er-Jahren ist auch die Burlesque wiederbelebt worden - diese komische Kunst des erotischen Versprechens, das dann doch nicht erfüllt wird. Das Stuttgarter Friedrichsbau Varieté hat darauf jetzt mal wieder einen ganzen, zweieinhalbstündigen Abend aufgebaut. Und der ist größtenteils sehr unterhaltsam.

„Affairs“ hat Regisseur Ralph Sun die Show genannt, in der es „um die Liebe in all ihren Facetten“ gehen soll. Das ist freilich ein bisschen hochgegriffen. Es geht vor allem um Aus- und Anzügliches, um die eine oder andere Lovestory, um allerlei Comedy-Einlagen und traditionelle Varieté-Darbietungen wie Jonglieren, Seilakrobatik und andere künstlerische Körperverrenkungen.

Liebesständchen auf der Ukulele

Durchs Programm führt Conférencier Ferkel Johnson, der seinen befrackten Leib immer wieder entblättert und die Damen in den ersten Reihen gerne mal von seinem „Arbeitsschweiß“ kosten lassen würde. Immerhin hilft eine ihm beim Aufknöpfen des Hemdes. Die Sockenhalter bleiben derweil an. Aber Johnson kann noch mehr: Etwa seine Knie mit einem roten Mund und einem Bart versehen, seine knackigen Unterschenkel in Manschetten stecken - und fertig ist das turtelnde Liebepaar samt Liebesständchen auf der Ukelele. Oder er greift selbst in die Saiten und singt vom „Hering und der Makrele, die war’n ein Herz sowohl als auch Seele“.

Die Show hat richtig gute Augenblicke. Etwa wenn Daniel Görich zu soften Pianoklängen seinen Astral-Körper das Seil hoch- und hinunterschwingt, sich verdreht und verwindet. Oder wenn Mirko Köckenberger und Marie Bitaróczkyin ihrem akrobatischen Pas de deux Dinge vollbringen, von denen man vorher nicht geglaubt hätte, dass sie möglich wären: Sie biegt sich zurück in die Brücke, er geht auf ihrem hochgewölbten Bauch in den Handstand. Beste Stripnummer des Abends: Köckenbergers Solonummer: Der Gleichgewichtsakrobat baut zu Elektro-Swing-Klängen Koffer zum Berg übereinander, erklimmt die Spitze und wechselt dort auf nur einen Arm gestützt die Hosen. Und das ganz locker, entspannt und elegant, als würde er das ausschließlich und immer so tun.

Seilartistische Erotik

Während Vivi Valentines Burlesque-Tänze mit Federfächern oder ihr „märchenhafter Schönheitstanz“ etwas brav wirken, geht die heiße Miss Skopalowa aufs Ganze: Sie legt ihren mexikanischen Partner Bray Buenrostro an die Kette, und es entspinnt sich ein höchst akrobatischer Liebesakt, in dem der Mann sich mehr und mehr von seiner sklavischen Unterwürfigkeit freimacht. Miss Skopalowa brilliert auch noch in seilartistischer Erotik, wobei sich die Frage, warum sie sich plötzlich mit entblößten Brüsten auf dem Boden räkelt, durch jenen roten Ball erklärt, den sie gekonnt in Achterbahnen um ihre Schmuckstücke laviert.

Für Tohuwabohu auf der Bühne sorgt das französische Comedy-Artistik-Duo Les Dudes. Da werden zu Sambarhythmen Kegel, Eier und Tennisschläger jongliert, und während der eine unten das Einrad in Position hält, sitzt der andere ihm als bärtiger Transvestit auf der Schulter und hantiert mit scharfen Dolchen. So richtig will sich Naoto, der King des Jo-Jos, nicht in die Dramaturgie des Abends einfügen. Der Japaner - immer geschmeidig hin und her huschend - veranstaltet mit seinen beiden Scheiben-an-Schnuren wahrhaft virtuose Dinge, lässt sie verschwinden, wieder auftauchen, in alle Richtungen ausfahren. Aber auch hier findet Conférencier Ferkel Johnson die erotische Kurve: „Wenn ich das machen würde, wäre es Bondage!“