Der Rapper Cro - sein gebürtiger Name ist Carlo Waibel - begeistert die Fans in der Schleyer-Halle. Foto: Torsten Rothe Quelle: Unbekannt

Cros Hip-Hop-Stil wirkt unverkrampft, immer wieder erweitert er sein musikalisches Universum um Funk. Erklärungen zu Liedern, wie sie entstanden sind, welche Geschichten dahinter stecken, fehlen durchweg.

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Der Hype um Cro ist ungebrochen. Längst hat der 26-Jährige bewiesen, dass er kein One-Hit-Wonder ist. Im Gegenteil. Carlo Waibel, so sein gebürtiger Name, aus Mutlangen bei Aalen ist mittlerweile unzweifelhaft der Superstar des deutschen Pop und Rap. Dem Mann mit der Pandabären-Maske gelingt, was Bryan Adams und Elton John nicht mehr schaffen: Er füllt die Arenen. Immer wieder. Cro ist ein Phänomen und ein Großer zugleich.

Ordentlich groß ist auch die Bühne in der ausverkauften Stuttgarter Schleyer-Halle. Kein Wunder, Cro braucht viel Platz. Ein 18-köpfiges Mini-Orchester hat sich hinter ihm platziert, verteilt auf drei Etagen. Auf den unteren beiden Ebenen seine Band, und ganz oben Streicher, Bläser und drei Background-Sängerinnen, allesamt rechts und links eingerahmt von zwei Videoleinwänden.

Der hohe Personalaufwand hat seinen Grund. Es ist ja kein normales Konzert, sondern eine unplugged-Inszenierung - die allerdings nicht wirklich unplugged ist. Über weite Strecken dominieren Elektrogitarren, zwei Schlagzeuge und Keyboardsounds, wahrscheinlich, weil die 13 000 Fans ihren gewohnten MP4-Sound auch in der Arena erwarten. Letztlich ist es egal, denn die Sache funktioniert so oder so. Cros Songs wie den schönen „Melodie“ schadet die opulentere Untermalung mit orchestralen Klangversuchen keinesfalls, genauso wenig wie die Reduktion auf das Notwendige. Bei Cro gibt es wenigstens echte, handgemachte Musik, was in der beatgeschwängerten Welt der Hip-Hopper nicht selbstverständlich ist. So setzt sich Cro bei „Lange her“ und „Rennen“ schon mal persönlich an das aus dem Bühnenboden hochklappende Klavier und klimpert Passagen mit seiner Band mit. Insbesondere Drummer Flo König und Gitarrist Tim Schwerdter ragen aus der Formation heraus. Co-Star des Abends ist allerdings DJ-Kumpel Psaiko.Dino alias Markus Brückner, der auf der mittleren Bühnenetage thront wie weiland Ryan Lewis bei US-Megastar Macklemore.

Zusammen mit Cro streuen sie dessen einfachen, eingängigen, allerdings live über weite Strecken eintönigen „Raop“, diese besondere Mischung aus Rap und Pop, unters Volk. Cros Hip-Hop-Stil wirkt unverkrampft, immer wieder erweitert er leichthändig sein musikalisches Universum um Funk („Ein Teil“), Soul („Cop Love“) und Jazz („Never Cro up“). Das Liebeslied „Hey Girl“ geht unvermittelt in das von Fred Ebb und John Kander geschriebene Stück „Theme from New York, New York“ über, das erst durch Frank Sinatra weltweite Berühmtheit erlangte.

Cros Songs sind weich und hübsch in Szene gesetzt und haben mehr Melodie als der Hip-Hop-Durchschnitt. Wie der Rapper Haftbefehl beispielsweise oder - noch früher - Sido. Sido trug einst auch Maske, aus Billigmetall. Aber er setzte auf die falschen Gefühle. Bei dem Gangster-Rapper gab es inhaltlich irgendwie immer eins auf die Fresse. Cro ist das Gegenteil eines Gangster-Rappers. Er serviert Rap mit Herz, mit liberalen Texten, ohne Obszönitäten, ohne Schimpfwörter. Schon im Eröffnungsstück „Hi Kids“, das perfekt auf sein junges Zielpublikum zugeschnitten ist, macht Carlo klar, dass er ein ganz Lieber ist, der nur spielen will. Deshalb ist Cros Randerscheinung im „Turn up“ überschriebenen Mittelteil des Konzerts mit „seiner Gang“ eher kontraindikatorisch. Wenn Cro „Meine Gang“, „X“ und „Tag und Nacht“ mitrappt, dann wird nicht ganz klar, ob Cro nicht doch auch eine dunkle Seite und einen Mittelfinger hat. Das Publikum im hinteren Teil der Schleyer-Halle bekommt davon eher weniger mit, gelangweilt lassen viele diesen sinnentleerten, mächtig wummernden und stimmungstötenden Teil der Gangster-Darbietung über sich ergehen. Nur bei „Rockstar“ springen die Kids auf Teufel komm raus.

Vor und danach aber verbreitet der Panda-Rapper unwiderstehlich gute Laune, werden etwaige Probleme beiseitegeschoben. Cro hat deutlich an Live-Format gewonnen. In weißen Hosen, Boots, Hoodie und schwarzem Alien-T-Shirt schlappt der Mann aus Stuggi-Town über die Bühne, alles geht ihm so „Easy“ von der Hand, es wirkt zumindest so, weil man nicht hinter die Maske schauen kann. Wobei tatsächlich nichts dem Zufall überlassen wird. Die Show ist durchkomponiert bis hin zu Free Hugs, die Cro den Fans in den vorderen Reihen während „I know“ auch gewährt. Wobei viele dieser jungen Teenies erstaunlicherweise lieber ihr Smartphone zücken denn Cro zu umarmen.

Ansonsten aber herrscht immer wieder Kreischalarm wie einst bei Take That. Beeindruckend bereitwillig gehen die Hände hoch, ertrinkt die Arena in einem Meer von Armen und inszenieren tausende Smartphone-Lämpchen Lichtspektakel. Aber ein Song wie „Einmal um die Welt“, dem ersten Höhepunkt, ist sowieso eher als Kindergeburtstag angelegt denn als sozialkritischer Aufschrei, als der die Rap-Musik seinerzeit ja mal in Ghettos ins Leben gerufen wurde. Hier singen die Kids glückselig mit, steht die Halle zum ersten Mal Kopf. „Bye Bye“ ist anschließend der zweite Selbstläufer. Das Konzert, tausendfach gefilmt von den Vertretern der Generation Youtube/Facebook/Instagram sowie von der Cro-Crew, die vermutlich hernach eine DVD erstellt, hat auch etwas von Fasching, derweil Cro mit clownesk angehauchtem Entertainment unterhält. Gegen Ende wird die Hysterie immer größer. „Wir waren hier II“ fängt die Schönheit der Atmosphäre musikalisch ein und „Bad Chick“ verfängt sich beinahe in einer traumhaft eleganten Endlosschleife. Die Hits setzt Cro zumeist an den richtigen Stellen, sein ausgesprochenes Händchen für fluffig-flauschigen Pop ist in diesen Momenten Gold wert. Leider bleibt seine Musik - wie er - weitestgehend anonym. Erklärungen zu Liedern, wie sie entstanden sind, welche Geschichten dahinter stecken, fehlen durchweg.

Als Cro nach fast zwei Stunden „Traum“ intoniert, ist alles gut. Und mit seinem allerersten Hit „Easy“, das auf „Sunny“ von Bobby Hebb basiert, ist die Arena vollends vom Taumel der Begeisterung erfasst. Sollten solche Hits irgendwann ausbleiben, wird dann aus etwas Großem wieder etwas Kleines? So wie bei Tokio Hotel? Wer Cro an diesem Abend in der Schleyer-Halle erlebt, wie zuvor bei den Jazz Open im Sommer auf dem Stuttgarter Schlossplatz, der kann sich das nicht vorstellen. Cro ist viel zu gut.