Poesie bietet immer einen Notausgang: Anna Breitenbach, Martin Kirchhoff, Slam-Salon-Initiator Andreas Roos, Willi Steinfeld, Ina Kitroschat, Johannes Henzler, Dirk Werner, Ulrich Stolte und Laura Maier-Sohn (von links). Foto: Weiß Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

Dass man Gedichte nicht nur im stillen Kämmerlein genießen, sondern auch gemeinsam hören und selbst verfassen kann, zeigt der große Zuspruch für Dichter-Lesungen, Lyrik-Workshops und Poetik-Schreibseminare landauf landab. Und weil es auch in Esslingen viele Liebhaber von Poesie und lyrischer Sprache gibt, ist der Kutschersaal der Stadtbücherei am Wochenende bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, als Rosens Lyrik-Salon zum zweiten Mal zu einer Spezialausgabe eingeladen hat: Acht Poeten stellten sich bei einem „Poetry-Slam“ genannten Dichterwettstreit dem Urteil des Publikums. Gemeinsam tat man zudem Gutes, denn alle Beteiligten verzichteten auf Gage, und das Publikum spendete bereitwillig, um die Esslinger Vesperkirche zu unterstützen.

Beim lyrischen Kräftemessen präsentierten sich in zwei Vorrunden acht Poeten, die ausschließlich selbst verfasste Texte in maximal fünfeinhalb Minuten ohne Gesang, Requisiten oder Hilfsmittel jedweder Art zu Gehör brachten. Und während sonst in Poetry-Slams mit Blick auf das den Sieger bestimmende Publikum meist die spaßigen und auf den schnellen Lacher setzenden Texte zum Zug kommen, brachten die Lyriker in Rosens Slam-Salon selbstbewusst eine beachtliche dichterische Vielfalt auf die Bühne.

Martin Kirchhoff wagte einen ebenso sprachspielerischen wie knitzen Blick mitten hinein in den Eintopf vom schwäbischen Gaisburger Marsch über Irish Stew bis hin zum jüdischen Tscholent. Willi Steinfeld schilderte ein anarchistisches familiäres Morgenerwachen als „Turbostart“, bei dem gleichzeitig das Vesperbrot für den Nachwuchs geschmiert und der Katzennapf befüllt werden muss. Sinnlich und besinnlich sprach Ulrich Stolte über die große Liebe, die er auf dem Jakobsweg traf: „Wie eine Leuchtspur stand ein 'Trotzdem' am Himmel.“ Johannes Henzler präsentierte ein hochaktuelles Plädoyer für eine Welt ohne Krieg: „Frieden kann so einfach sein. Frieden beginnt überall, jeder für jeden, keiner allein.“ Laura Maier-Sohn verdichtete ihre Beobachtungen mit klug gesetzten Pausen beim Aufbruch zur „Abenteuerreise Leben“: „So weit ich reiche und meine Sinne auch.“ Ina Kitroschat sorgte dafür, dass der Begriff Selbstständigkeit eine ganz neue Bedeutung erhielt und so mancher einen kurzen Blick auf seine eigene Uhr warf: „Es ist 2017 auf meiner Uhr.“ Anna Breitenbach nahm das Publikum mit an die Metzgertheke im Supermarkt und brachte mit köstlichen Gedanken-Schlenkern sowie sprachlichen Doppeldeutigkeiten eine deutsch-türkische Annäherung akkurat auf den Punkt. Und Dirk Werner spielte in einem zauberhaften Hin und Her aus Rhythmen und Tempowechseln in „Rotkappe reloaded“ mit den Erwartungen des Publikums, das ein Punk-Rotkäppchen mit der S-Bahn zur Großmutter in den Wald begleitete. Nur zu gern hätte man - von allen beteiligten Lyrikern - mehr gehört als nur fünfeinhalb Minuten. Über eine Straffung der Erläuterung der Slam-Präliminarien hätte sich auch durchaus mehr Zeit für die Poesie gewinnen lassen.

Der von Andreas Roos initiierte Lyrik-Salon steht ganz im Zeichen der Rose, die in Prosa und Lyrik als „Königin der Blumen“ gefeiert wird, die als Symbol der Liebe aber auch, dornenbewehrt, als Abbild des Schmerzes gilt. Mit kleinen Stoff-Rosen stimmte das Publikum ab und wählte Anna Breitenbach sowie Dirk Werner ins Finale, wo sie je einen weiteren Text präsentierten: beide mit viel Lebenserfahrung, einem sehr genauen Blick aufs Dasein, einem großartigen Gefühl für Sprache und Rhythmus sowie exzellent im Vortrag.

Beide wählten nachdenkliche und gehaltvolle Texte für die entscheidende Runde. Dirk Werner las einen von tiefer Menschlichkeit durchdrungenen Text über eine Bedienung und ihren letzten Gast: Beim Blick in den frisch gezapften Bierschaum lässt sich jeder von seinem ganz persönlichen Traum hinwegtragen, bevor jeder wieder seines Weges geht. Und Anna Breitenbach überzeugte mit ihren Gedanken über das Sehen, an denen sie stetig weiterschreibt: „Wir sehen so gut wie alles - und nichts.“ Dafür wurde sie beim Benefiz-Slam mit viel Beifall vom Publikum zur siegreichen Rosen-Königin des Abends gekürt.