Klänge „himmlischen Reichtums“: Christian Gerhaher. Foto: Jim Rakete Quelle: Unbekannt

Drei Mitsingveranstaltungen mit Stuttgarter Chören finden im Musikpavillon am Schlossplatz statt. Neben dem Konzert bei Kärcher in Winnenden gibt es erstmalig ein Open-air-Konzert beim Klett-Verlag.

Von Henning Bey

In diesem Jahr widmen sich elf durchkomponierte Musikfesttage zwischen dem 1. und dem 11. September dem Thema „Reichtum“. Was sind die inhaltlichen Zutaten dieses Musikfests? Reichtum bringt eine Vielzahl an Perspektiven mit sich, etwa die jahrhundertealte Idee von Vergänglichkeit, die traditionell mit materiellem Reichtum in Verbindung gebracht wird. Nahezu unvermeidlich ziehen Fragen des Reichtums auch moralische Fragen nach sich. Was ist das richtige Maß im Leben, und wie geht man sinnvoll mit Reichtum um? Selbstverständlich meint Reichtum nicht bloß Wohlstand, er kann genauso für eine überwältigende Fülle von Eindrücken, Perspektiven und Möglichkeiten stehen. Nicht von dieser Welt ist ein biblisches Verständnis von Reichtum „in Gott“, das heißt der geistliche Reichtum im christlichen Glauben.

Mit dem Fluchtpunkt Musik versehen, werden diese übergeordneten Gesichtspunkte zu Programminhalten, die klanglichen Reichtum, himmlischen Reichtum, Erfindungsreichtum, Schattenseiten des Reichtums, perspektivischen Reichtum, die Frage nach dem Umgang mit Reichtum und den vor der Haustür liegenden regionalen Reichtum künstlerisch abbilden. Kommt schließlich noch das musikalische Profil der Bachakademie dazu, das ebenfalls dem Programm des Musikfests seinen Stempel aufdrückt. Im Musikfest 2016 präsentieren die Ensembles der Bachakademie nicht nur die passende Musik zum Thema, sondern vor allem ein neues Klangbild: mit einem neu gegründeten Barockorchester auf historischen Instrumenten, einem neu formierten Chor und - als internationales Alleinstellungsmerkmal - mit dem Nachbau einer originalen Truhenorgel aus der Werkstatt des Bach-Zeitgenossen Gottfried Silbermann als klanglichem Herzstück dieser neuen Ensemblekultur, die zukünftig unter dem Namen Gaechinger Cantorey zu hören sein wird. Unter der Leitung von Akademieleiter Hans-Christoph Rademann treten die reformierten Ensembles in drei Konzerten auf: im Eröffnungs- und Abschlusskonzert sowie in den „Sichten auf Bach“.

Damit wären wir bei der Struktur des Musikfests angelangt. Die inhaltlichen Adern, die es durchziehen, setzen sich aus bewährten Formaten sowie aus neuen, auf die thematischen Schwerpunkte des diesjährigen Musikfests zugeschnittenen Veranstaltungen zusammen. Bewährte Formate sind die „Wandelkonzerte zum Wein“ (immer am ersten Musikfesttag in Uhlbach), die beiden Musikfest-Gottesdienste (am 4. September in der Stiftskirche, am 11. September in St. Eberhard), die „Sichten auf Bach“, drei Führungen in der Staatsgalerie, das Musikfest-Café (dieses Jahr im Hospitalhof, mit täglichen Gesprächsveranstaltungen um 15 Uhr), „Stuttgart singt!“ (drei Mitsingveranstaltungen mit Stuttgarter Chören am 3., 7. und 10. September um 12 Uhr im Musikpavillon am Schlossplatz) und die im letzten Jahr aus der Taufe gehobene Reihe „Unternehmen Musik“. Neue Formate, eigens auf das Thema „Reichtum“ hin gedacht beziehungsweise zur Begleitung des neuen Ensembleklangs der Bachakademie entworfen, sind „NachGedacht“, eine Gesprächsrunde über „Vom Umgang mit Reichtum“ und ein sogenanntes „Klangatelier“.

In „NachGedacht“ erklingt an zwei Mittagen in der Stiftskirche jeweils ein halbstündiges Orgelrecital mit Musik von Johann Sebastian Bach (5. September: Kay Johannsen; 9. September: Jörg-Hannes Hahn). Im Anschluss äußert sich Johannes Kärcher beziehungsweise Herta Däubler-Gmelin zu seinem/ihrem Verständnis von Reichtum. In der von Wieland Backes moderierten Gesprächsrunde am 6. September diskutieren in der Rotunde der L-Bank Bernd Riexinger (DIE LINKE), Anselm Bilgri (ehemaliger Cellerar Kloster St. Bonifaz), Renata Jungo Brüngger (Daimler AG) und Christiane Lange (Staatsgalerie Stuttgart) über das Musikfest-Thema.

Beim „Klangatelier“ handelt es sich um eine dreiteilige Reihe, deren Titel absichtsvoll in Richtung künstlerische Werkstatt und Ausstellungsort deutet. Zum Auftakt geht es am 5. September in der Staatsgalerie um die Analogie zwischen restaurierten Farben eines Alten Meisters und einem restaurierten Klangbild durch die Verwendung von Barockinstrumenten. Anne Künzig, Restauration der Staatsgalerie, und Akademieleiter Hans-Christoph Rademann werden sich mit interdisziplinären Querbezügen zu diesem Thema äußern. Am 6. September präsentieren sich im Hospitalhof die neu formierten Ensembles der Bachakademie und geben in einer offenen Probe Einblicke in ihre Klangwelt. Den Abschluss bildet am 7. September im Fruchtkasten das dritte „Klangatelier“, in dem Orgelbauer Kristian Wegscheider den von der Bachakademie bei ihm in Auftrag gegebenen Nachbau der Silbermann-Truhenorgel vorstellt.

In den etablierten Musikfest-Formaten zieht sich das Thema „Reichtum“ als roter Faden durch sämtliche Programme. Die „Wandelkonzerte zum Wein“ verbinden drei fußläufig voneinander entfernte Konzertorte - das Weinbaumuseum, die Kelter vom Collegium Wirtemberg und die Andreaskirche - miteinander, zwischen denen das Publikum hin- und herschlendern, an jedem Ort einen Wein verkosten kann und Programme zu hören bekommt, die sich mit „regionalem Reichtum“ beschäftigen: musikalischen Reichtum am Bosporus mit dem Oriental Jazz Ensemble Fisfüez, Auszüge aus Wilhelm Hauffs Schauergeschichte „Phantasien aus dem Bremer Ratskeller“ mit romantischer Gitarrenmusik sowie das Vokalensemble Quartonal mit Trink- und Volksliedern. Tags darauf, im Eröffnungskonzert am 2. September, erklingt mit den neu formierten Ensembles der Bachakademie unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann die musikalische Verkörperung von barockem Reichtum schlechthin: Claudio Monteverdis „Marienvesper“, 1610 publiziert im wohlhabenden Venedig, ein überwältigendes Werk mit einer Vielzahl von Gattungen, Stilen und Ensembles im Raum sowie einem Chor, der bis zur Zehnstimmigkeit aufgefächert wird. Das Eröffnungskonzert formt zusammen mit dem Abschlusskonzert am 11.9., in dem Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann und ausgewählte Solisten Georg Friedrich Händels L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato auf die Bühne der Liederhalle bringen, den musikalisch-inhaltlichen Rahmen des Musikfests. Dieses Oratorium stellt, passend zum Thema „Reichtum“, die Frage nach dem richtigen Maß im Leben. Mit zwei Concerti grossi und einem Orgelkonzert als Ouvertüren zu seinen drei Teilen ist die Uraufführungsfassung die perfekte Visitenkarte für die reformierten Ensembles und den Nachbau der Silbermannorgel.

Die „Sichten auf Bach“ werden im diesjährigen Musikfest um eine Abendschiene bereichert. Während mittags weiterhin „Bach pur“ erklingt (6. bis 8. September) mit Kantaten über himmlischen und irdischen Reichtum, die Schattenseiten des Konsums und die Vergänglichkeit alles Materiellen sowie einem Violinrecital mit Thomas Zehetmair und Bach-Partiten, drehen sich die beiden Abendkonzerte (5. und 9. September) um „Bach plus x“: Cembalist Andreas Staier widmet sich „Bach und Frankreich“, und das Budapester Keller Quartett verschränkt Sätze aus Bachs „Kunst der Fuge“ mit Miniaturen von György Kurtág; ein Konzert, das sowohl zu den „Sichten auf Bach“ wie zu „Unternehmen Musik“ gehört (und im Kärcher Auditorium stattfindet).

Apropos „Unternehmen Musik“: Neben dem Konzert bei Kärcher in Winnenden gibt es dieses Jahr erstmalig ein Open-air-Konzert beim Klett-Verlag, in dem das Terem Quartett (Akkordeon, 2 russische Lauten, Bassbalalaika) am 3. September „My Bach“ präsentiert: Bachs Musik trifft auf russische Seele! Im Mercedes-Museum evoziert das Gershwin Piano Quartett am 8. September auf vier Steinway-Flügeln die historische Verbindung zwischen den Tüftlern William Steinway und Gottlieb Daimler, die 1888 eine geschäftliche Partnerschaft eingingen. Noch eine klingende Variante von „regionalem Reichtum“, mit raffiniert arrangierten Klassikhits und jazzigen Kompositionen.

Auch das Konzert mit dem Mannheimer Mozartorchester unter Alte-Musik-Ikone Reinhard Goebel bringt „regionalen Reichtum“ zum Klingen (am 10. September), und zwar den der „Mannheimer Schule“ aus dem 18. Jahrhundert, deren rasanter Orchesterstil besonders Wolfgang Amadé Mozart begeisterte und beinahe zum Bleiben im Ländle verführt hätte.

Szenenwechsel in die „Golden Twenties“. Tora Augestad und ihre Gruppe „Music for a while“ fügen am 7. September im Theaterhaus dem breiten Musikfestprogramm mit bissiger Wohlstandskritik der „Neuen Sachlichkeit“ (Weill, Eisler, Brecht) eine weitere Facette hinzu, während Star-Bariton Christian Gerhaher und das Gustav Mahler Jugendorchester unter Philippe Jordan am 4. September mit Werken von Bach und Bruckner ihre Geschichte vom „himmlischen Reichtum“ erzählen.

Bleibt noch die abendliche Clubschiene im Musikfest, das BACH.LAB, in dem mit Lust am Experiment das Tagesgeschehen eine Brechung erfährt. In den drei Formaten (zwei in den Wagenhallen, eins in der Leonhardskirche) stellen die jeweiligen Gastkünstler das Instrumentarium der Bachzeit auf den Prüfstand - Bezug nehmend auf das neue Klangbild der Bachakademie. Elektronisch verstärkte Gamben und E-Gitarre, Jazz-Trio und große Kirchenorgel, ein kleines Barockensemble und elektronisch gesampelte Klänge garantieren einen modernen Dialog mit der Bach-Zeit. Freiheit: Diese Geschichte wird dann im Musikfest 2017 weitererzählt.

karten und informationen

Kartenverkauf bei der Bachakademie Stuttgart (Tel. 0711-6192161) montags bis freitags von 10 bis 13 und von 14 bis 17 Uhr, während des Musikfests von 8.30 Uhr bis 17 Uhr. Onlineverkauf unter www.musikfest.de

Außerhalb der Bürozeiten werden die Anrufe von Easy Ticket Service entgegengenommen (0711-2555 555, montags bis freitags von 8.30 Uhr bis 20 Uhr, samstags von 9 bis 16 Uhr).

Kartenverkauf zudem bei allen Easy-Ticket-Vorverkaufsstellen und für die Veranstaltung „Wandelkonzerte zum Wein“ am 1. September außerdem im Weinbaumuseum und beim Collegium Wirtemberg.

Musikfest-Pass: Mit dem Musikfest-Pass können für alle Konzerte Plätze in der je nach Verfügbarkeit besten Kategorie zum Preis der niedrigsten Kategorie erworben werden. Der Musikfest-Pass gilt als Fahrkarte im gesamten VVS-Gebiet in der Zeit vom 1. bis 11. September 2016. Der Musikfest-Pass kostet 120 Euro, ist nicht übertragbar und bei der Bachakademie erhältlich.

Musikfest-Abonnements: Mit einem Themen-Abonnement ist eine Ermäßigung von 20 Prozent gegenüber Einzelkarten verbunden.

www.bachakademie.de