„Ein Lehrstück ohne Lehre“: Szene aus „Biedermann und die Brandstifter“ im Wilhelma-Theater. Foto: Kalscheuer Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Stuttgart -Am Anfang entert die Feuerwehr die Bühne des Wilhelma-Theaters vom Seitenbalkon. Am Ende ist der Zuschauerraum vom bläulichen Trockennebel eingeraucht, das Haus steht in Flammen. Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, von Annette Pullen für den Studiengang Schauspiel der Stuttgarter Hochschule inszeniert, zeigt die fatale Ignoranz und Gleichgültigkeit des Kleinbürgers gegenüber der Realität des Bösen, wie sie der Schweizer Autor in den 1950er-Jahren im Rückblick auf das Aufkommen des Nationalsozialismus als „Lehrstück ohne Lehre“ dramatisierte.

Eine wichtige Rolle im Stück spielt der von Frisch als Parodie antiker Tragödien eingesetzte Chor, welcher das ahnungslose Verhalten der Hauptfigur in geschwollenem Versmaß parodiert: „Blinder als blind ist der Ängstliche, / Zitternd vor Hoffnung, es sei nicht das Böse / Freundlich empfängt er’s, / Wehrlos, ach müde, der Angst, Hoffend das Beste“.

Harmloser Lebemann

Das Ensemble um den als geschäftlich erfolgreicher Yuppie überzeugenden Philippe Thelen in der Hauptrolle zeichnet die Typen prägnant und am Rande der Karikatur. Biedermanns Frau (Elena Berthold) ist eine konsumfreudige Leichtgläubige, die sich von den beiden auf dem Dachboden einquartierten Ganoven hofieren lässt, das Dienstmädchen Anna (Kim Vanessa Földing) wird geschurigelt und herumkommandiert. Der ehemalige Ringer Schmitz (Jannik Mühlenweg) punktet mit einem Gemisch aus Schmeichelei, Grobheit und Hinterlist, sein Kumpan Eisenring (Inga Behring) mimt den harmlosen Lebemann. Als beide ihre Brandstifter-Untensilien auf den Speicher schaffen, der in Iris Krafts Bühnenbild unter den hölzernen Lamellen eines Auf-und-Abwärts-Stegs angesiedelt ist, tritt noch ein sich als Wutbürger gerierender Intellektueller (Milan Gather) in Erscheinung, der mit seinen Phrasen die Brandkatastrophe mitverursacht, doch jede Verantwortung von sich weist.

Max Frischs Parabel auf die Handlungsunfähigkeit einer saturierten Gesellschaft bleibt im Wilhelma-Theater ziemlich genau am Text orientiert und zitiert nur gegen Ende heutige nationalistische Brandstifter vom Schlage Pegida mit der Vokabel „Lügenpresse“. Mit spielerischem Elan und lebendigem Engagement machen sich die Schauspielschüler Frischs Einakter zu eigen, auch die Showeinlage mit dem Werbeblock des Haarwasserfabrikanten Biedermann macht ihnen sichtlich Spaß.

„Feuergefährlich ist viel“

Eindrucksvoll in der sehenswerten Aufführung sind die chorischen Auftritte der Mannen der Feuerwehr inszeniert, die ihre Verse in doppelbödiger Ironie skandieren: „Feuergefährlich ist viel, / Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal, / Unabwendbares. / Anderes nämlich, Schicksal genannt, / Dass du nicht fragest, wie’s kommt / Städtevernichtendes auch, Ungeheures / Ist Unfug“.

Weitere Vorstellungen bis Mitte Dezember.