Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Ihr Bruder und zwei Freunde wurden von Islamisten ermordet, und sie selbst, die 1964 in Algerien geborene Autorin Rayhana, wurde im Januar 2010 im Pariser Exil von fundamentalistischen Männern mit Benzin übergossen. Die Zigarette, die sie in Flammen setzen sollte, erlosch zum Glück. Den Attentätern war ihr aktuelles Stück ein Dorn im Auge, das gerade in Paris seine Uraufführung erlebt hatte: „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“, ein Stück über Frauenschicksale in einem patriarchalen, vom Islamismus bedrohten Staat unserer Zeit, und über die Gefahr, in die sich Frauen begeben, wenn sie ihre Rechte einfordern. Die Aufführungen liefen in der Folge des Attentats unter Polizeischutz.

Es ist ein starker Theaterstoff, und die kleine Tri-Bühne im Stuttgarter Tagblattturm eröffnete damit jetzt ihr jährliches Festival: das 13. internationale Stuttgarter Europa Theater Treffen (SETT). Das Stück spielt irgendwo in einem arabischen Staat im hermetischen Raum eines Hammams, eines Dampfbades, an einem für Frauen reservierten Tag (Bühne: Stephen Crane): Hierher flüchtet sich eine junge verzweifelte Frau, die kurz vor der Entbindung steht. Weil sie unverheiratet schwanger wurde, wird sie von ihrem Bruder verfolgt, der sie töten will („Du Hure!“) - das kennen wir auch in Deutschland, diese sogenannten „Ehrenmorde“.

Klar konturierte Frauengestalten

Aber Rayhana machte aus diesem Stoff kein schwerblütiges Moralstück, sie schrieb eine Tragikomödie mit viel Sprachwitz und einer durchaus französischen Leichtigkeit. Dabei wird der Hammam zum Treffpunkt unterschiedlicher Frauentypen, die der häuslichen Enge entfliehen, um zu reden. Über Gott und die Welt, aber vor allem über Männer, ihre Ehe, über Sex. Und das recht deftig. Es wird schnell klar: „Den Islam“ gibt es nicht. Es sind ganz unterschiedliche Geschichten, von denen die neun Frauen auf der Bühne berichten: Die Hammam-Masseurin Fatima etwa - bissig und selbstbewusst gespielt von Natascha Beniashvili-Zhed - sitzt die Ehe mit ihrem gewalttätigen Mann gezielt aus, um ihre acht Kinder durchzubringen. Die Hausfrau Louisa (Ute von Stockert) wurde dagegen als Zehnjährige an einen Freund ihres Vaters verheiratet und erzählt nun die beklemmende Geschichte ihrer „Hochzeitsnacht“, die einer brutalen Vergewaltigung gleichkommt. Sie nahm aber später Rache und schob ihrem Ehemann die mit dessen Bruder gezeugten Kinder unter: „Wenn die Schlange alt wird, schlägt der Frosch zurück.“

Während draußen Terror herrscht, geschossen wird, wird im Hammam geredet und debattiert. Ganz offen streitet die fundamentalistische, Burka tragende junge Zaya (Stefani Matkovic) mit der atheistischen Studentin Myriam (Natascha Kuch), die, gerade geschieden, ihr Jura-Studium fortsetzt, obwohl sie einst von Kommilitonen durch ein Säureattentat schwer verletzt wurde. Die Männer störte, dass sie unverschleiert zur Uni geht (Myriam: „Bart frisst Hirn weg.“). Ihre ehemalige Schwiegermutter, die auf Traditionen bauende alte Xanthippe Aicha (Fermesk Mustafa Abdolrahman), wirft ihr den „Genozid an ihren Enkelkindern“ vor, weil Myriam die Pille nahm. Eine glückliche Ehe lebt immerhin die Lehrerin Kaltoum (Barbara von Münchhausen). Die nach Paris emigrierte Madame Mouni kehrt in ihre alte Heimat zurück, um hier eine jungfräuliche Braut für ihren Sohn zu finden. Im Mittelpunkt von Edith Koerbers Inszenierung steht freilich die Masseurinnengehilfin Samia, die mit der schlaksigen, beweglichen Anuschka Herbst trefflich besetzt ist. Die unverheiratete, von ihren Eltern eingesperrte 29-jährige Samia glaubt noch an die große Liebe. Sie lässt sich nicht von all den düsteren Geschichten beeinflussen. In ihrem fein ausbalancierten Spiel zwischen hyperaktiv-zappeliger Komik und rührender, verträumter Naivität und Liebesbedürftigkeit trägt Anuschka Herbst entscheidend zum Gelingen des Abends bei.

Publikum freut sich zu früh

Besetzt wurde international. Koerber setzte auf Authentizität. Die Frauenfiguren sind klar konturiert: vielfältige Gegenpositionen zum weitverbreiteten Schwarz-Weiß-Denken. Was zu wenig präzise und klar in Szene gesetzt wurde, ist das Ende. Da hat das schwangere Mädchen ihr Kind geboren und trotz aller Konflikte halten alle neun Frauen nun zusammen. Um das Mädchen vor ihrem vor der Eingangstüre lauernden mordbereiten Bruder zu schützen, verkleiden sich alle als Schwangere und verlassen das Hammam. Das Publikum freut sich zu früh übers Happy-End. Ein leiser Knall erklingt, als falle eine Türe zu. Aber dann gibt’s noch einen Nachspann, der klar macht: Der Bruder schoss, aber er tötete nicht seine Schwester, sondern die einzige der Frauen, die noch an die große Liebe glaubte.

Nächste Vorstellungen: täglich von Mittwoch, 7. Dezember, bis Samstag, 10. Dezember, jeweils 20 Uhr.