Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Eigentlich haben die Erben von Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler alles richtig gemacht. Sie haben sich - mittlerweile in fünfter Generation - nie zerstritten, was, wenn man an Oskar Schlemmer denkt, dessen Werk jahrzehntelang nicht ausgestellt werden konnte, schon als Glücksfall bezeichnet werden muss. Hans-Robert Hahnloser, der Sohn des Sammlerpaars aus Winterthur, wurde Kunsthistoriker zu Bern, Harald Szeemann war sein Schüler. Die Tochter, Lisa Jäggli-Hahnloser, übernahm den elterlichen Wohnsitz, die Villa Flora, die ihre Mutter, aus einer Textilfabrikanten-Familie stammend, von ihrem Großvater erworben hatte. 1980 gründeten die Nachkommen eine Stiftung. 1995 öffneten sie die Villa Flora als Museum, um die bedeutende Sammlung nachimpressionistischer Malerei in ihrem originalen Ambiente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: auch dies ein Glücksfall.

Das Besondere an der Sammlung ist, dass der 1870 geborene Augenarzt Arthur Hahnloser und seine drei Jahre jüngere Frau von 1906 an konsequent damals aktuelle Kunst sammelten, und zwar in direktem Kontakt mit den Künstlern. Davon kann man sich im ersten Raum der Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie überzeugen, die nun als letzte Station einer Tournee Teile der Sammlung zeigt und mit eigenen Beständen konfrontiert.

Etwas steif sind die Porträts der Sammler geraten: er frontal, auf die Armlehne des Sessels gestützt, sie im Profil, das Gesicht ins Bild gewandt. Sie stammen von Félix Valloton, ebenso wie das Doppelporträt der beiden Kinder: Der Junge in dunklem Anzug mit weißem Kragen und blauem Halstuch sitzt auf einem gepolsterten Hocker, ein Damespiel auf dem Schoß. Das Mädchen in weiß gerüschtem Kleid steht unbeweglich daneben, Spielsteine in der Hand. Solche repräsentativen Porträts waren nicht Pierre Bonnards Sache. Er zeigt die Hahnlosers beim Segeltörn auf offenem Meer. Die Villa selbst hat Henri Manguin festgehalten, ebenso wie eine Teestunde auf der Terrasse mit Blick in den Garten.

Pariser Vorbilder

Mit Schweizer Künstlern fingen die Hahnlosers an: Ferdinand Hodler hatte 1900 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille gewonnen. Giovanni Giacometti, der Vater des Bildhauers Alberto, hatte die postimpressionistische Malerei in die Schweiz eingeführt. Von da aus war es nicht weit zu den Pariser Vorbildern: allen voran die Nabis, Bonnard, Vallotton und Édouard Vuillard, zu deren Kreis auch der Bildhauer Aristide Maillol gehörte. Eine „Flora“ von ihm grüßt die Besucher, Patronin des Anwesens. Auch Auguste Rodin, also der andere wichtige Bildhauer der Zeit, ist in der Ausstellung vertreten. Zu den ersten Künstlern, für die sich die Hahnlosers interessierten, gehört weiterhin Paul Cézanne. Später kamen Auguste Renoir und Henri de Toulouse-Lautrec dazu, aus dem Kreis der Fauves neben Henri Matisse und Manguin auch Albert Marquet, von dem zwei schöne Hafenansichten zu sehen sind, dazu einzelne Bilder von Vincent van Gogh und das letzte, unvollendete Werk von Édouard Manet. Als erste Privatsammler erwarben die Hahnlosers Odilon Redon. Ausgestellt sind nicht seine rätselhafen, symbolistischen Kohlezeichnungen, sondern bunte Blumenbouquets.

Dass Bestände der Sammlung nun in Stuttgart zu sehen sind - nach vorangegangenen Stationen in Hamburg, Paris und Halle - ist einem kommunalpolitischen Debakel zu verdanken. Die Villa Flora bedarf einer Renovierung. Die Stadt Winterthur ist jedoch seit zwei Jahrzehnten notorisch klamm. Traditionsunternehmen wie der Industriekonzern Sulzer sind mächtig geschrumpft. Die Winterthur-Versicherungen, die sich früher Kulturförderung auf die Fahnen geschrieben haben, gehören seit 1997 zu Axa. So beschloss der Gemeinderat vor drei Jahren, für die Instandsetzung sei kein Geld da. Seitdem befindet sich die Sammlung auf Reisen und wandert nach Ende der Stuttgarter Ausstellung im Juni zunächst einmal ins Kunstmuseum Bern, obwohl von anderer Seite mittlerweile ein Großteil der Kosten aufgebracht wurde. Die Stadt Winterthur muss nur noch einer Beteiligung an den Unterhaltskosten in Höhe von 350 000 Franken im Jahr zustimmen. „Wir sind guter Hoffnung, dass das Haus 2012 wieder eröffnet, wenn sich die Finanzierung geklärt hat“, sagt der Präsident des Trägervereins Dieter Thalmann.

Zwischen der Staatsgalerie und der Schweizer Privatsammlung gibt es einige Parallelen. Denn von 1900 an leitete der Tübinger Kunsthistoriker Konrad Lange das Haus, der mit Ankäufen postimpressionistischer Werke wie dem „Gärtner“ von Camille Pissaro der Stuttgarter Sammlung zu neuer Geltung verhalf. Neela Struck, die mit Angelika Affentranger-Kirchrath aus Winterthur und der Staatsgalerie-Direktorin Christiane Lange die Ausstellung kuratiert hat, hat nun nicht einfach Werke der Staatsgalerie zwischen die aus der Villa Flora gehängt. Sie hat vielmehr gleich die Stuttgarter Sammlungsgeschichte mit aufgearbeitet. Nach Konrad Lange kam 1907 Max Diez, der sich unter anderem sehr für Hodler interessierte. Zwei weitere Privatsammlungen haben die Bestände erweitert: 1958 im „Stuttgarter Museumswunder“ die Sammlung des norwegischen Reeders Ragnar Moltzau und zehn Jahre später die des früheren Bosch-Vorstandsvorsitzenden Hugo Borst.

Begegnung mit einer fremden Welt

Damit nicht genug: Bei der Vorbereitung der Ausstellung stieß Struck auch auf einen Bestand japanischer Farbholzschnitte aus dem 19. Jahrhundert, die erstaunlicherweise noch nie ausgestellt waren. Die Verbindung liegt auf der Hand: Die angeschnittenen Bildausschnitte von Toulouse-Lautrec, die flächige Darstellungsweise und die extreme Perspektive eines von weit oben gezeigten, weiß in der Sonne leuchtenden Strandes von Félix Valloton, ja generell das Momenthafte der impressionistischen Malerei sind ohne die Entdeckung der japanischen Holzschnitte auf der Pariser Weltausstellung 1867 nicht denkbar. Pierre Bonnard hatte so viele davon bei sich an der Wand hängen, dass er auch als der „Nabi japonnard“ apostrophiert wurde.

88 Holzschnitte überwiegend aus dem 19., einzelne bereits aus dem 18. Jahrhundert sind nun im Graphikkabinett zu sehen und Druckgrafiken von Bonnard, Gauguin, Manet, Toulouse-Lautrec, Vuillard und Reinhold Nägele gegenübergestellt. Es geht nicht um Motivübernahmen. Zwischen den japanischen Originalen und den europäischen Grafiken, die sich an japanische Vorbilder anlehnen, bleibt ein gehöriger Abstand. Eine uns fremde Welt tritt hervor: die Seidenraupenzucht; Porträts berühmter Kabuki-Schauspieler und Kurtisanen; sogar ein ritueller Selbstmord.

An die 30 Blätter von Utagawa Hiroshige sind dabei: wahre Meisterwerke. Auch ein kompletter Band mit Skizzen von Katsushika Hokusai liegt in einer Vitrine. „Manga“ wurden diese Blockbücher genannt: Das waren damals zwar keine Comics. Aber es kann nur als eine sträfliche Vernachlässigung eines jungen, Japan-affinen Publikums bezeichnet werden, wenn so etwas noch niemals ausgestellt war. Den Querelen von Winterthur, den Erben und Verwaltern der Sammlung Hahnloser-Bühler und der Kuratorin der Stuttgarter Ausstellung ist es zu verdanken, dass sie nun endlich zu sehen sind.

Die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart läuft bis zum 18. Juni und ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags bis 20 Uhr; der Stuttgarter Katalog, der auch die vorangegangenen Stationen der Ausstellung mit reflektiert, kostet im Museumsshop 19,90 Euro.