Virtuos geschrieben, rasant gespielt, gnadenlos aktuell: Gideon Rapp (Mitte) und das Ensemble von „Ein Tanz auf dem Vulkan“. Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - So brisant, so politisch war das Alte Schauspielhaus seit Jahren nicht: Was sich wie eine nette Revue aus den wilden Zwanzigern anlässt, klagt vehement und zynisch die neue Ultrarechte an, vor allem deren Kulturpolitik. Manfred Langners „Ein Tanz auf dem Vulkan“ zeigt mit bissigem Witz und erschreckender Klarheit die Parallelen zwischen heute und damals, zwischen unserem postfaktischen, Facebook-aufgehetzten Zeitalter und dem Deutschland vor 100 Jahren. So gut, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft.

Die Kunst muckt auf gegen Rechts - ausgerechnet dort, wo man sonst eher mehrheitskompatibles Theater für gutbürgerliche Zuschauer macht. Bei manchen Pointen des mutigen Intendanten hört man durchaus das Schlucken im Publikum, schlägt die Sarkasmus-Skala doch zuweilen bis kurz vor Böhmermann aus. Ein elegant getanzte Charleston-Medley versetzt in die richtige Stimmung: Am Silvesterabend des Jahres 2019 wird eine Revue über die Roaring Twenties vor 100 Jahren geprobt. Bis ein Herr Lechler in den Zuschauerraum hereinplatzt, Abgesandter der Bundeskulturkammer, die unsere neue Regierung nach Abwahl der „Gutmenschen-Kanzlerin“ eingerichtet hat. Er muss gerade die Sanierung des Opernhauses verhindern, aber zwischendurch wird er „im Sinne des neuen konservativen Zeitgeistes“ die Revue begutachten, damit „auch in diesem Theater nur mehr die Stimme des Volkes spricht“.

Parallelen nicht zu übersehen

Langner hat genau nachgelesen, was die AfD mit der Kultur vorhat, und er zeigt es uns in den kritischen Einwürfen des Herrn Lechler, der mit lächelndem Selbstvertrauen Begriffe wie „völkisch“ oder auch „Neger“ wieder benutzt. Der öffentliche Rundfunk ist geschlossen, erfahren wir nebenbei, und Kunst soll gefälligst „nach den Qualitätskriterien ökonomischer Vernunft“ stattfinden: Das beschwingte, mit tollen Solisten besetzte Salonorchester unter Horst Maria Merz könne man durch eine CD ersetzen. Überreich bestückt mit den stets passenden Liedern der damaligen Zeit springt der Abend so lange hin und her zwischen 1920 und 2020, dass man die Parallelen nicht mehr übersehen kann: die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, die Amüsierwütigkeit, den explodierenden „Jetzt komm ich!“-Egoismus der Menschen, den Rechtsruck. Selbst einen neuen Bahnhof für zehn Milliarden Mark haben sie damals gebaut - zwischen den allgemeinen Themen wie Emanzipation oder Weltwirtschaftskrise, zwischen den regelmäßig von einer Leinwand herunter kommentierten Wahlergebnissen der Weimarer Republik erfährt man alles über Stuttgart zwischen den Weltkriegen.

Über das großartige Stuttgart, das, mit den Worten von Ringelnatz, „gegen dieses Scheiß-München ein Paris“ sei, über OB Karl Lautenschlager oder die Frauenärztin Else Kienle, über den „undeutschen Stil“ der Weißenhofsiedlung, über Kaufhaus Schocken und Hotel Silber. Vor einem Panorama der Stadt schwingt sich unter einem großen Grammophon-Trichter eine drehbare Showtreppe herab, auf ihrer einen Seite kommt der Tagblattturm zur Vorschein und auf der anderen die Katakomben der Unterschicht (Bühne: Beate Zoff). Monika Seidls unzählige, stilvolle Kostüme zeigen Abendmode, Bademode, die Kleider der Armen und der Reichen.

Modeschau mit Dolch im Rücken

Manfred Langners Revue ist reich, rasant, detailgenau recherchiert, sie ist vor allem virtuos geschrieben und wird im Verlauf des Abends immer noch frecher. Die von Horst Maria Merz superb zusammengestellten Schlager-Medleys wechseln sich ab mit nachdenklichen, scharfen Lieder von Kurt Weill oder Hanns Eisler, mit Texten von Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht, mit Tonfilm-Schlagern und den aufmüpfigen Operettenliedern von damals. Zwischen die Chansons und Couplets sind kleine Spielszenen eingestreut, zum Beispiel über Langners einstigen Intendanten-Vorgänger Claudius Kraushaar. Es gibt eine schreiend komische, Mel-Brooks-würdige Hitler-Parodie oder eine satirische Modeschau samt Dolch im Rücken. Besonders schön ist der Moment, wo der Kulturprüfer die Hitler- und Goebbels-Zitate von damals für Auszüge aus seinem eigenen Parteiprogramm hält.

Er wird mit aalglattem Pathos von Frank Voß gespielt, ihm ist wie dem gesamten, großartigen Ensemble die kabarettistische Hochgeschwindigkeit des Abends in die Adern übergegangen. Antje Rietz, die immer wieder fetzige Trompetensolos einlegt, Amelie Sturm und Alina Bier sind die selbstbewussten Damen, Harald Pilar von Pilchau, Theodor Reichardt, Gideon Rapp und Mario Mariano die eleganten Herren. So brillant, so aktuell, so unheimlich war schon lange keine Revue mehr. Trotz der zahlreichen schwungvollen Zugaben geht man in Sorge nach Hause.

Weitere Aufführungen: fast täglich bis zum 4. Februar, Nachmittagsvorstellungen und Festtagsprogramm unter www.schauspielbuehnen.de.