Immer lässig: Kompaniechef Eric Gauthier im Theaterhaus. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Vor zehn Jahren gründete Eric Gauthier seine Tanzkompanie im Stuttgarter Theaterhaus - inzwischen ist er weltweit begehrt. Mit dem Abend „Big Fat Ten“ feiert er im März das Jubiläum seiner Truppe.

Wo sehen Sie sich in weiteren zehn Jahren: Doppelt so groß? In einem eigenen Theater? In einer anderen Stadt?

Gauthier: Nein, ich bleibe in Stuttgart! Sagen wir so: Wenn die Stadt und das Land bei unserer großen Vision bleiben, dann bekommen wir ein Tanzhaus, das finde ich grandios. Die freie Szene ist dabei auf unserer Seite. Das wird auch ein neuer Lebensabschnitt für mich!

Das Theaterhaus hat ein tolles Publikum und vier unterschiedlich große Bühnen, es ist aber letztlich kein guter Ort für Tanz - es gibt keine Oberbühne, kaum eine Seitenbühne, keine Live-Musik. Sie könnten es viel besser haben in einem „normalen“ Theater . . .

Gauthier: Wir mögen es, aber die Choreografen stehen dort schon vor einer großen Aufgabe. Es ist einfach immer eine Budgetfrage. Von Stadt und Land bekommen wir zusammen 500 000 Euro - das ist nicht wenig, aber es reicht zum Beispiel nicht, um moderne Scheinwerfer zu kaufen. Wenn wir vor den Premieren zwölf Tage im T1 proben, verliert das Theaterhaus jeden Tag Geld, sie könnten den Saal täglich vermieten. Aber wenn wir unsere eigene Bühne haben, können wir jeden Tag dort proben. Und wir werden mehr Vorstellungen machen - das ist das große Thema: Es gibt keine Karten. Ich hör das immer wieder.

Ganz ehrlich: Wie viele Theaterintendanten haben im Lauf der Jahre bei Ihnen angerufen und wollten Sie weglocken?

Gauthier: Zwei Handvoll vielleicht - ich zähle nicht mit. Immer wieder mal ruft einer an. Viele hören von unserem Erfolg, dass wir ständig ausverkauft sind - das ist wichtig für Intendanten, es geht nicht immer um die Kunst. Wenn die Tanzsparte funktioniert, dann ist sie ein Goldesel. Aber ich glaube, in den letzten Jahren hat sich das Image von Gauthier Dance geändert, mit diesen vielen Uraufführungen. Das ist eine neue Welt, auch für mich, wenn ich jetzt die Hälfte der Spielzeit experimentiere. Jetzt können wir Risiken wagen, es hat zehn Jahre gedauert, bis ich das sagen konnte. Jetzt spreche ich von einer Truppe mit weltweitem Radius, wir sind auf einer Ebene angelangt, wo man in meinen Gedanken vielleicht ein bisschen mehr von Stadt und Land bekommen könnte, denn wir tragen den Namen Stuttgart weit hinaus. Ich will nicht meckern, ich bin dankbar. Aber unser Zuschuss stagniert. Das Theaterhaus steht immer hinter Gauthier Dance, das ist das Allerwichtigste.

Zieht auch das Publikum mit? Marco Goeckes „Nijinski“ war bereits ziemlich neuartig.

Gauthier: Ja, weil sie uns gut kennen. In der nächsten Spielzeit sind wir in Tel Aviv, Monte-Carlo, St. Petersburg und Moskau mit dem Stück, jetzt gehen wir eine Woche lang ins Joyce Theatre nach New York: „Nijinski“ ist unser Türöffner in der Welt. Und dann mein nächstes Projekt nach „Big Fat Ten“ und „Mega Israel“: Ich habe mir immer einen Frauenabend gewünscht. Aber ich will lauter Uraufführungen, das ist die Schwierigkeit! Und ich habe wirklich die großen Damen gefragt: Marie Chouinard, Helena Waldmann, Sharon Eyal, Crystal Pite, jetzt spreche ich gerade mit Sasha Waltz. Ich hoffe, das wird dann ein Abend, den viele wieder haben wollen, denn es sind alles neue Stücke. Das Colours-Festival hat auch geholfen, das öffnet uns viele Türen. Das Theaterhaus ist ein toller Ort für ein Festival. Wenn wir unser Theater daneben bekommen, mit einer voll ausgestatteten Bühne, dann legen wir erst richtig los! Dann können wir vielleicht sogar Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater einladen - die passen bisher nicht in Halle 1, da fehlen einfach zwei Meter.

Wie finden Sie neue Choreografen für Ihre Programme? Wie sind Sie zum Beispiel auf Nadav Zelner gekommen, dessen Duo „Alte Zachen“ jetzt den Trailer fürs Colours-Festival abgibt?

Gauthier: Ich habe einen Choreografen gesucht, der einen Abend für junge Zuschauer macht, bunt und schnell und sexy. Nadav ist ein Ausnahmetalent. Meine Tourmanagerin Claudia Bauer war bei einem Festival in Tel Aviv, sie hat gesagt: Das passt zu Gauthier Dance. Ich hab immer jemanden gesucht, der ein bisschen ist wie ich.

Wie kamen Sie auf den israelischen Abend fürs Colours-Festival?

Gauthier: Das ist mein Traumprogramm! Let’s get the Meister, Ohad Naharin, und die zwei „Schüler“ - das sind beide ganz große Namen jetzt, aber sie haben von ihm gelernt. Als die alle zugesagt haben, das war ein geiler Tag für mich! Das wird mega - daher der Titel, „Mega Israel“! Viel Rauch und laute Musik bei Hofesh Shechter, da tanzen sieben Männer, bei Sharon Eyal sind es sechs Frauen. Und nach der Pause dann alle zusammen. Auf den Geschmack kam ich bei „Kamuyot“ beim letzten Festival: Ich habe gemerkt, dass man in Zeiten der Anspannung kein Balletttraining machen sollte, sondern Naharins Gaga-Technik.

Was erwartet uns im Jubiläumsprogramm „Big Fat Ten“?

Gauthier: Es sind fünf Uraufführungen, von Alejandro Cerrudo, Itzik Galili, Johan Inger und Andonis Foniadakis. Mein „Ballet 102“ ist auch neu - ich hatte das schon für Moskau gemacht, aber ich habe eine neue Version choreografiert.

Sie sind ständig unterwegs und in unendlich vielen Projekten engagiert - woher holen Sie persönlich Ihre unendliche Energie?

Gauthier: Das ist einfach ziemlich gut geplant. Es heißt immer „Gauthier sagt ja zu allen“ - nein Leute, ich habe drei Sachen heute morgen abgesagt! Vor allem soziale Projekte würde ich sehr gerne machen, aber ich kann einfach nicht alles annehmen! Ich will ein guter Papa sein, das ist ganz wichtig. Wenn die anderen Ballettchefs so erzählen . . . nachts nach einer Gala, wir hatten viel getrunken und saßen da, da hat einer mich beseite genommen und hat gesagt: „Eric, ich sag dir ehrlich: Pass auf deine Familie auf. Ich habe meine Familie verloren durch meine Kunst.“ Das hat mich so beschäftigt. Und ich denke oft an meine Frau, wie schwer sie es hat. Als Direktor - wenn man das nicht gemacht hat, ahnt man nicht, was da eigentlich drinsteckt. Es frisst dein Leben auf.

Die Fragen an Eric Gauthier stellte Angela Reinhardt.

Zur Person

Eric Gauthier wurde 1977 in Montreal geboren. 1996 kam er zum Stuttgarter Ballett und wurde zu einem Publikumsliebling. 2007 gründete er im Stuttgarter Theaterhaus mit sechs Tänzern seine Kompanie Gauthier Dance, er selbst tanzte zum Auftakt mit Egon Madsen in „Don Q.“, 2011 erhielt Gauthier den deutschen Tanzpreis Zukunft. 2015 fand im Sommer Gauthiers erstes internationales Colours Dance Festival im Theaterhaus statt und 2017 feiert Gauthier Dance mit inzwischen 16 Tänzern sein zehnjähriges Bestehen.

Der Abend „Big Fat Ten“ hat am 1. März Premiere, weitere Termine: 2. bis 5. März und 10. bis 14. Mai.