In der Not muss man zusammenrücken: Grégory (Michel Vuillermoz), Christine (Karin Viard), Pierre (Didier Bourdon, von links) und Béatrice (Valérie Bonneton, rechts) drängeln sich im Fahrstuhl. Foto: Square One/Universum Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Esslingen - Mit der Solidarität ist das zuweilen so eine Sache: In der Theorie funktioniert sie ganz prächtig - doch wehe, wenn man dafür selbst auf etwas verzichten muss. Dann stößt mancher ganz rasch an die Grenzen des eigenen Bewusstseins. Alexandra Leclère hat diesen Gedanken konsequent zu Ende gedacht. Was es heißt, wenn die Reichen ihren Wohlstand von heute auf morgen mit den Ärmsten teilen sollen, erzählt die französische Regisseurin in ihrer witzigen Komödie „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“.

Christine (Karin Viard) hat es im Leben noch nie an etwas gefehlt: Erst lebte sie als Tochter eines Offiziers ein wohl behütetes Leben, nun sorgt ihr egozentrischer Ehemann Pierre (Didier Bourdon) dafür, dass es ihr an nichts fehlt. Doch so richtig glücklich sind die beiden schon lange nicht mehr in ihrer 300-Quadratmeter-Luxuswohnung in einem der Nobelviertel von Paris. Pierre lebt auf der Sonnenseite des Lebens - Ausländer, Arbeitslose und „Gutmenschen“ sind willkommene Blitzableiter für seine eigene Unzufriedenheit. Und am meisten ärgert er sich über die intellektuelle Nachbarsfamilie Bretzel (Valérie Bonneton und Michel Vuillermoz), die ihr linkes Bewusstsein wie eine Monstranz vor sich herträgt.

Doch dann stellt ausgerechnet das Wetter die ganze Hausgemeinschaft vor schwere Gewissensfragen, deren Beantwortung sich keiner entziehen kann: Dauerfrost und Minusgrade halten das ganze Land seit Wochen fest im Griff - damit die Obdachlosen nicht erfrieren, verfügt die Regierung, dass die Eigentümer allzu großzügig bemessener Wohnungen die Ärmsten der Armen bei sich aufnehmen müssen. Natürlich sinnen Christine und Pierre sofort nach einer Ausflucht, und auch im Hause Bretzel ist man sich denkbar uneins, wie man sich in der Stunde der solidarischen Bewährung verhalten soll. Allein Christine wird vom schlechten Gewissen heimgesucht, öffnet die Tür für eine Obdachlose - und muss schon bald feststellen, dass ihre gut gemeinte Tat auch ungeahnte Folgen haben kann ...

„Es ist normal, dass Menschen nach einem Not-Dekret und einer sozialen Katastrophe aufgewühlt sind“, findet Alexandra Leclère. „Mir war es wichtig, keine Abziehbilder zu zeigen, sondern komplexe Figuren. Man muss das Leben der Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln beobachten.“ Leclères Figuren sind alles andere als eindimensional gezeichnet. Immer wieder überraschen sie durch unverhoffte Wendungen - was gerade noch galt, kann im nächsten Moment schon über den Haufen geworfen sein. Und plötzlich zeigen die Selbstsüchtigen ungeahnte Größe, während die ach so Bewussten spüren, dass es vom Wort zur Tat manchmal ein weiter Weg ist. So wird dieser Film zu einer facettenreichen Studie der menschlichen Natur, über die man sich herrlich amüsieren kann, die aber auch nachdenklich macht: Wie würden wir uns in dieser Lage verhalten?

Alexandra Leclères originelle Ensemblekomödie unterhält vorzüglich und schaut dabei mal mit einem liebevollen und mal mit einem satirischen Blick auf unsere Gesellschaft.